Wie gestalten wir die gemeinsamen Abende?
Wir treffen uns i.d.R. alle zwei Monate, dann am ersten Montag des Monats im Restaurant "Reusch" [Erftstraße 20 / Ecke Wupperstraße - 0211/391033 (Nähe Gehry-Bauten / Hafen) in Düsseldorf].
[In der Nähe gelegen und günstig!!! Parkhaus "Neuer Zollhof" - Neuer Zollhof 3]
Beginn: 19:00 Uhr
Nächster Termin: Montag,
6. Januar 2025
Als Diskussionsgrundlage dienen Texte, die beim vorhergegangenen Abend gemeinsam festgelegt wurden: Im Zentrum der Abende stehen die Lektüreeindrücke der Teilnehmer/innen.
Grundlage für den 6. Januar [Achtung Terminänderung!!!] 2025: Lektüren im Band "Erzählungen":
Zwei Lügen oder Eine antikische Tragödie auf dem Dorfe
Tod einer Dame im Sommer
Unter schwarzen Sternen
Weitere Treffen im Jahr 2025:
Ab dem Termin im März ist der Gegenstand der Diskussionen der Roman:
"Die Merowinger oder Die totale Familie"
10. März
5. Mai
7. Juli
1. September
3. November
jeweils ab 19:00 Uhr
Hier finden Sie einen Text, der Doderers ,Verhältnis' zu Düsseldorf und den Düsseldorfern beschreibt.
Vor 66 Jahren – Düsseldorf begrüßt den österreichischen Schriftsteller Heimito von Doderer (1896-1966) als „Thronfolger für den verwaisten Kronsessel Thomas Manns“ zu einer Lesung.
Mit seinem Roman Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre war Doderer 1951 der Durchbruch in der deutschsprachigen Literatur gelungen, 1956 erschien sein großer Roman Die Dämonen. Nach der Chronik des Sektionsrates Geyrenhoff. Damit war er in der zeitgenössischen Literatur zu einem der ,Großen‘ geworden, der SPIEGEL[1] widmete ihm eine Titelgeschichte, sein Name wurde nun in einem Atemzug mit Thomas Mann, James Joyce und anderen bekannten Autoren genannt: Er wurde zu einem Kandidaten für den Nobelpreis für Literatur.
Thomas Mann hatte im August 1954 in Düsseldorf eine Lesung aus dem Felix Krull durchgeführt.[2] Drei Jahre später schickte der C.H. Beck Verlag seinen Erfolgsautor Heimito von Doderer auf eine „Vortragsreise Westdeutschland und Berlin vom 7. bis 27.2.1957“.
In Düsseldorf stieß Doderer auf die größte Beachtung im Rheinland.
Die Neue Rhein-Zeitung, 12. Jg., vom Montag, 11.02.1957, nahm in der Rubrik „Lokales“ folgende Ankündigung vor: „Volkshochschule: Dienstag, 12. Februar, Heimito von Doderer (Wien) spricht über die Entstehung seines Romans ,Die Dämonen‘ und liest Proben daraus – Kunsthalle, Grabbeplatz, 20 Uhr.“
Am nächsten Morgen, dem 12. Februar, reiste Doderer von Wuppertal nach Düsseldorf, hier logierte er im „Gästehaus am Hofgarten“, Arnoldstraße 5. Nach seiner Ankunft sollte er Dr. Mager, den Direktor der Volkshochschule Düsseldorf, anrufen. Die Veranstaltung fand um 20:00 Uhr in der Kunsthalle am Grabbeplatz statt, in der vom 20.1. – 24.2.1957 eine Ausstellung der „Gruppe 53“ gezeigt wurde.
In der Ankündigung zu dieser Lesung in der Kunsthalle stimmte die NRZ die Leser in die in Österreich geführte Diskussion ein, Doderer mit dem Literatur-Nobelpreis auszuzeichnen und schrieb bereits im Titel: „Heimito von Doderer: Ihm gebührt der Nobelpreis. Der Dichter der ,Dämonen‘ liest heute in der Kunsthalle.“ Der Text setzte diese Forderung im Einleitungssatz fort: „Wenn wieder einmal einem Dichter des deutschen Sprachraums der Nobelpreis verliehen werden sollte, so gebührte er als erstem dem Österreicher Heimito von Doderer […].“ In seinem Roman, an dem Doderer 25 Jahre gearbeitet habe, zeige er das Schicksal von rund 30 Menschen unterschiedlicher Schichten auf und demonstriere daran „die Ursachen für die Katastrophen Europas in den letzten dreißig Jahren.“ Am Abend werde Doderer über die Entstehung seines Romans sprechen. Dann folgt ein längeres Zitat von Hans Weigel (österreichischer Schriftsteller und Theaterkritiker, 1908 –1991) zu Doderers Lebens- und Arbeitsweise, und die Ankündigung schließt mit folgender Wertung: „Seine Dichtung und dazu seine Disziplin verdienen höchste Bewunderung.“
Der Bericht am 15. Februar in den Düsseldorfer Nachrichten: „Begegnung mit den ,Dämonen‘ – Heimito von Doderer las aus seinem großen Roman“ ordnet ihn in die aktuelle Literaturkritik ein: „Der österreichische Dichter Heimito von Doderer, der seit dem Erscheinen seines Romans ,Die Dämonen’ von der Kritik als der österreichische Marcel Proust gefeiert wird […].“ Statt des angekündigten Vortrags über die Entstehung seines Romans habe Doderer „einen kurzen Essay über den ,Roman, vom Leser aus gesehen‘“ vorgetragen und seine Vorstellung von der „,Anatomie des Augenblicks‘“ erläutert: „Der Gegenstand des Romans solle der Leser selbst sein – also der Mensch schlechthin.“ Aus den „Dämonen“ habe er dann, ohne Einführung und Erklärung der Handlung – „da jeder Teil das Ganze enthalten müsse“ – einen Abschnitt über die junge Renata vorgelesen, „die vor der ,Dämonie des Familiären‘ aus dem Elternhaus, ,das nach vorigem Jahrhundert duftete‘, in die Jugendbewegung mit Fahrt und Lagerfeuer flüchtet, um zu sich selbst zu finden.“ Den Abschluss der Besprechung bildet ein in diesen Jahren häufig getroffener Vergleich: „Eine das Wesen der Dinge offenbarende, geschmeidige und präzise Sprache und eine sublime Ironie vom Range eines Thomas Mann – das waren die wesentlichen Eindrücke der kurzen Lesung.“
Gerd Vielhaber berichtete bereits am 14. Februar für die Rheinische Post unter folgender Überschrift: „Ein akustisches Dilemma – Heimito von Doderer las aus den ,Dämonen‘.“ Der Verfasser war erstaunt über die „bemerkenswert zahlreiche[n] Hörer“ der Volkshochschule, die sich in der Kunsthalle eingefunden hatten, inmitten eines Saales, der die aktuelle Ausstellung der „Gruppe 53“ zeigte:
Das Lesepult stand genau vor Gerhard Höhmes[3] plakathaft dunkler, wahrhaft dämonischer Leinewand ,Schwarzer Frühling‘, eigentlich ziemlich beziehungsvoll. Doderer besitzt eine große Gemeinde. Ein interessanter Mann. Man war neugierig.
Der Auftakt war offenbar unerwartet:
Es begann erstaunlich. Mit den Begrüßungsworten einer leicht schockierten Dame, die den Dichter liebenswürdig tadelnd mit einem aus dem Zusammenhang seines Buches gelösten unfreundlichen Zitat (,Die Frauen sind ordinärer als die Männer‘) festnagelte, worauf Doderer gelassen und charmant mit Applaus reagierte und in seinen einleitenden Darlegungen über das Entstehen seines Werkes, über den Roman, vom Leser aus gesehen, antwortete.
Die Überschrift des Artikels ist in einem einfachen Sachverhalt begründet:
Er sprach derart undeutlich, so sehr österreichisch gefärbt, daß der Zuhörer dem akustischen Dilemma unterlag. Doppelt schade, weil die verständlichen Bruchstücke den klugen Kopf, den überlegenden Geist verrieten. Doderer argumentierte u. a., daß der Leser nicht ein spezielles Thema, nicht einen ,Roman des Anilins‘[4] etwa wünsche, sondern einen ,Roman über Sie, mein Leser‘, eine universale Konzeption des Lebens. Der Autor müsse das Auge des Lesers und seinen Blick ertragen lernen.
Doderer las dann aus dem Roman das Kapitel ,Im Haus zum Blauen Einhorn‘, wobei man wieder Mühe hatte, ihn zu verstehen. Allerdings wurde man dann doch belohnt:
Als man sich ,eingehört‘ hatte, genoß man freilich die heiter-witzige Charakteristik der in rastloser Untätigkeit verharrenden Frau Kapsreiter, deren Hobby darin besteht, in ihrem Tage-, beziehungsweise Nachtbuch ihre skurrilen Träume aufzunotieren.
Nach der Lesung entdeckte Vielhaber am Büchertisch im autobiographischen Nachwort Doderers zu seiner bei Reclam erschienenen Erzählung Das letzte Abenteuer eine „hübsche Anekdote“. Am Tage des Erscheinens seines Romans ,Ein Mord, [sic!] den jeder begeht‘ am 15. Oktober 1935 habe sich in Düsseldorf genau der gleiche Unfall[5] ereignet wie in diesem Roman beschrieben: Der elektrische Funke an einer Türklingel löst eine Gasexplosion aus. Dies wird dem Protagonisten im Roman zum tödlichen Verhängnis.
Sein Fazit: „So war diese Begegnung mit Heimito von Doderer – dem Autor, nicht dem Interpreten – trotz des akustischen Dilemmas ergiebig.“
Im Februar hatte der C.H. Beck Verlag den nun erfolgreichen Autor auf diese vom Verlag organisierte Lesetournee durch Deutschland geschickt. Doderers langjähriger Sekretär Wolfgang Fleischer weist 1996 in seiner Biographie[6] Doderers rückblickend auf diese Lesereise hin:
Mittlerweile hatten die interessierten Leute die Dämonen gelesen, es waren genügend und zumeist hymnische Kritiken erschienen: das war der richtige Zeitpunkt, um den Neugierigen den Erfolgsautor zu präsentierten und Zögernde nochmals anzustacheln. Doderer fuhr und fuhr durch Deutschland, las vor Publikum und im Rundfunk (mit Honoraren von rund 200 DM, was als Tagesverdienst auch nicht so unwesentlich war): Köln, Elberfeld, Düsseldorf, Gummersbach, Braunschweig (wo er vor der Lesung mit einiger Kenntnis zu den historischen Quellen der Stadt brillierte und sich damit die Sympathie vorwegnahm), dann das längst bevorzugte Hamburg, Interview und Vortrag beim Buchhändler Saucke, schließlich Lesung im Auditorium Maximum vor 600 Leuten.
Nach dem Erscheinen der Dämonen ist er nun ein gefragter Autor. In einem Brief vom 23. Januar 1957 an den Lektor Horst Wiemer[7] beklagt er bereits das vielfältige Interesse an seiner Person:
Mein lieber Horst, von allzu vielen Einzelheiten vexiert, von der Zeitknappheit bedroht, und mit den diversen Vorhaben ausdauernd belastet, kann ich mich gar nicht mehr wohlfühlen; sehr mühsam nur können die neuen Dinge, die jetzt in mir reifen, sich durchsetzen. Es gibt auch zu viele Menschen, die was von mir wollen und daher das Telephon in Tätigkeit setzen. Dabei muss ich von Glück sagen, daß ich hierher gefahren bin: ansonst wäre manches versäumt worden.
In einem Brief vom 7. Februar erhält Doderer eine maschinenschriftliche Übersicht zu folgender Lesereise „Vortragsreise Westdeutschland und Berlin vom 7. bis 27.2.1957“.
Horst Wiemer teilt ihm in einem kurzen Brief vom 2. Februar mit, er werde ihn am Abend des 6. am Münchner Hauptbahnhof abholen, es sei auch ein Zimmer für ihn im „Hotel Wolff“ reserviert. Am 7. Februar reiste Doderer mit dem Zug von München ab – „mit FD Gambrinus, 6,47 Uhr (Speisewagen im Zug)“ – und traf am frühen Nachmittag in Köln ein, wo für ihn im „Kölner Hof“[8] – unmittelbar gegenüber dem Hauptbahnhof bis incl. der Nacht vom 10. auf den 11. Februar ein Zimmer reserviert worden war. Die Hin- und Rückfahrten jeweils mit einem Auto waren organisiert, Doderer erhielt auch die Namen und die Telefonnummern der Ansprechpartner im Kontext der jeweiligen Veranstaltung.
Gemäß der Planung wurde er an diesem Anreisetag, dem 7. Februar, um 18:30 Uhr, zu einer Lesung in Dormagen in der „Casinogesellschaft Dormagen“[9] abgeholt, die für 20:00 Uhr terminiert worden war.
Leider fand sich bei der Recherche im Archiv in der Neuß-Grevenbroicher Zeitung – Rheinische Post weder eine Ankündigung noch eine Besprechung. Auch der Rheinische[r] Anzeiger – Heimatzeitung für Köln-Worringen·Dormagen·Zons·Nievenheim und Umgebung, er erschien jeweils einmal in der Woche freitags, fand offensichtlich eine Literaturveranstaltung nicht der Erwähnung wert.
Am Freitag, 8. Februar, wurde Doderer nach Solingen gefahren, um dort einen Vortragsabend in der Stadtbücherei Solingen im Gymnasium Schwertstraße zu gestalten. In der Lokalpresse, der Rheinischen Post vom 4.2.1957, Nr. 29, Solinger Stadtpost BI, war ein kleiner Veranstaltungshinweis mit der Überschrift „,Dämonen‘ Dichter in Solingen“ veröffentlicht worden. Der anonyme Verfasser weist kurz auf die Biographie hin, so daß die Kriegsgefangenschaft in Sibirien im 1. WK in Doderer den Wunsch geweckt habe, Erzähler zu werden. Doderer habe seit 1931 an seinem Lebenswerk gearbeitet, dessen erster Teil bereits 1937 beendet gewesen sei:
Angesichts der damaligen Zeitumstände verzichtete Doderer freiwillig auf eine Veröffentlichung, und erst nach dem zweiten Weltkrieg widmete er sich wieder diesem groß angelegten Werk, dessen Erscheinen im Herbst 1956 als ein literarisches Ereignis ersten Ranges begrüßt wurde.
Leider brachte die Solinger Stadtpost keinen Bericht über den Verlauf des Abends. Das Gymnasium antwortete auf eine Mailanfrage des Autors mit dem Hinweis, daß im Rahmen von Baumaßnahmen alle Unterlagen der Schule dem Stadtarchiv übergeben worden seien; dort fand sich allerdings bei einem Besuch lediglich der oben genannte Veranstaltungshinweis.
Für den folgenden Samstag weist die Planung des Verlages folgende Vorhaben aus:
Ohne Vortragsverpflichtungen.
Möglicherweise meldet sich Dr. Hoffmann (Gatte der verstorbenen Elisabeth Langgässer) vom Westdeutschen Rundfunk Köln.
Außerdem wollte von Düsseldorf ein Reporter der Rhein-Ruhr-Zeitung zu einem Interview nach Köln kommen.
Am Sonntag ist er weiterhin in Köln, der Plan gibt die Adresse eines Dr. Günther Sawatzki in Köln inkl. der Telefonnummer an, allerdings ohne weitere Erläuterung. Es liegen keine Kenntnisse darüber vor, ob es an diesen beiden Tagen zur Durchführung der geplanten Termine gekommen ist.
Im bisher unveröffentlichten Briefwechsel zwischen Doderer und dem C.H. Beck Verlag[10] finden sich Spuren, die einige Einsichten in den Hintergrund sowie die Abläufe dieser Tage geben.
In einem Brief an Horst Wiemer vom 12. Februar gibt er ein kurzes Feedback zum bisherigen Verlauf der Lesereise:
Mein lieber Horst, Hier klappte alles und jedes tadellos und wie vorgesehen. Zusätzlich sprach ich noch auf Band im westdeutschen R’funk. Langes Gespräch mit Dr. Hoffmann. Heute ganzen Tag allein in meinem Zimmer in Ruhe. Die Sache ist überhaupt nicht gar anstrengend, wenn ich immer wieder einmal allein sein kann. In Dormagen und Solingen sehr ansprechbares Publikum und reizende Gastlichkeit.
Herzlichste Grüße!
[Unterschrift Heimito]
Für den nächsten Tag, Montag, den 11. Februar, ist die Weiterfahrt nach Wuppertal bis zum Bahnhof Elberfeld, geplant. Gegenüber dem Bahnhof ist im „Hotel Kaiserhof“[11] ein Zimmer reserviert. Für den Nachmittag hat Dr. Leep, Leiter der „Literarischen Gesellschaft ,Der Bund‘“[12] ein Treffen geplant. Um 19:30 Uhr findet ein Vortrag im Städtischen Museum Wuppertal[13] statt: „Hinterher Einladung zum Abendessen bei einem Industriellen“ – leider erfährt man nicht, um wen es sich handelte.
Leider gab es im „Wuppertaler Generalanzeiger“ weder eine Ankündigung noch eine Besprechung des Abends.
Am 13. Februar reist Doderer bereits nach Gummersbach weiter – Vortrag in der Aula des Städtischen Gymnasiums –, weitere Stationen dieser Lesereise: 4. Februar Braunschweig, 15. – 20. Hamburg, 20. Berlin und am 27. Rückflug nach München. Am 28. Februar ist er bereits wieder in Landshut.
Im Tagebuch finden sich für diesen Zeitraum nur wenige und kurze Eintragungen: 7. Februar auf der Fahrt von München nach Köln, 8. in Köln und eine letzte am 20. in Hamburg – leider gibt es keinerlei Hinweise auf die Tour, Eindrücke, Erfolge oder sonstige Informationen.
Der Blick in die Entstehung der Dämonen, die Tagebücher und die Briefe zeigt einige überraschende Fundstellen: Was verband Doderer mit Düsseldorf und den „Düsseldorfern“?
Am 31. Dezember 1934 wurde Doderer von seiner Freundin Gaby Murad in der von ihr für ihn vollständig und fertig eingeräumten Wohnung in Wien erwartet: „Sie blieb bis 10 Uhr abends bei mir. Ich unterliess es, die Neujahrsnacht im Kreise einiger ,Düsseldorfer‘ zu verbringen – wozu ich eingeladen war“[14] –, stattdessen blieb er alleine in seinem neuen Zuhause, in schlechter Stimmungslage wegen der noch nicht erfolgreichen Bemühungen, den Roman Ein Umweg zu veröffentlichen. Nach dem Abschluß seines Romans hatte er ihn diesmal nicht an Diederichs in Jena, sondern an den Verlag Hesse & Becker in Leipzig geschickt, seine großen Hoffnungen wurden aber wieder enttäuscht, als das Buch zum zweiten Mal abgelehnt wurde.“[15] Der Jahreswechsel dringt von außen in seine Wohnung: „Aus den dunklen winterlichen Gärten und Gassen unter mir stieg eine hohe und gemeine Frauenstimme, die ,Prositneujahr‘ rief. Ich fühlte mich glücklich, nicht unter den ,Düsseldorfern‘ zu sein.“[16]
Durch diesen Wohnungswechsel von seinem „Döblinger Montmartre“ verlor sich auch der lockere und beiläufige Kontakt zum „Rittmeister“ Otto Dressel – er wurde zum Vorbild für den „Rittmeister Eulenfeld“ –, der in seinen damaligen Überlegungen eine Rolle spielte: „Von geradezu idealischer Prägnanz ist sein Erlebnis mit dem Wucherer A. Mandus (Amandus!) aus Berlin, da sich in dieser Anekdote aus seiner Offiziers-Zeit eigentlich sein ganzes früheres und späteres Leben konzentriert. Damit gedenke ich gleich als Eingangs-Akkord das Kapitel ,Alle Wege führen nach Düsseldorf‘ zu eröffnen.“[17]
Zu dem nach Düsseldorf genannten Kapitel in den Dämonen kam es so nicht, dafür aber werden die Bewohner der Stadt in der Druckfassung an einigen Stellen erwähnt.
Am 26.6.1935 schreibt er: „In Bezug auf den Schluss von D I/3 (,Düsseldorf‘) bin ich etwas im Zweifel“ , ohne dafür einen Grund zu nennen. Eine Notiz vom März 1939 steht isoliert: „Schlaggenbergs der Rittmeister incongruent gesehen zu seinem Blickpunkte in 〈„Eulenfeld“ 〉 Düsseldorf (79 / 80f )“, ohne dass sich hier der Kontext zu Düsseldorf erschließt.
Nun, zu dem nach Düsseldorf genannten Kapitel in den Dämonen kam es nicht, dafür aber erfahren die Leser auf der Seite 76 etwas über Düsseldorf:
Der Rittmeister Eulenfeld, eine der schillerndsten Figuren des Romans, ist „Anführer“ einer „Bande“ von draufgängerischen jungen Menschen, die sich selbst den Titel „troupeau“ = Herde, gab. Im Roman heißt es dazu:
Sie nannten sich auch ,die Düsseldorfer‘, und ihn den ,Big Chief‘. Das erstere stammte daher, daß Eulenfeld einmal erwähnt hatte, es sei für einen einsam reisenden Husaren gar nicht so leicht gewesen, von Westdeutschland unbesoffen nach Berlin zu kommen, denn ab Düsseldorf bis Berlin wäre die Strecke ,total verseucht‘ gewesen, durch den Urlauber-Verkehr eines dortigen Ulanen-Regimentes; man sei unweigerlich in irgendein Abteil hinein verschleppt worden […].[18]
Dieses Zitat zeichnet kein besonders sympathisches Bild von Düsseldorf. Immerhin wurden im Laufe der Jahre an der „Heinrich-Heine-Universität“ Seminare zur österreichischen Literatur abgehalten, in denen Heimito von Doderer natürlich nicht fehlte. Daraus entstand über die Jahre ein fortbestehendes wissenschaftliches Interesse an Werk und Autor, bis zu einem in Düsseldorf sich zu Lesungen und Diskussionen einfindenden Kreis von ,Düsseldorfern‘ – natürlich auch ,Nicht-Düsseldorfern‘ [www.doderer-treffen-duesseldorf.de].
Den Nobelpreis für Literatur erhielt Doderer nicht. Seine Präsenz und Dominanz – vor allem in Österreich – bis zu seinem Tode 1966 war offensichtlich, dies zeigt die folgende oft kolportierte Anekdote:
Eine der entlarvendsten Anekdoten berichtete der ehemalige Immobilienhändler und Freund Bernhards, Karl Ignaz Hennetmair: ,Wir saßen vor Jahren gemeinsam vor dem Apparat, als die Meldung kam, daß Doderer gestorben sei. Wie elektrisiert sprang Thomas vom Sessel, klatschte in die Hände und rief erfreut: Der Doderer ist gestorben. Auf meine Frage, warum ihn das so freue, sagte er: Doderer war doch in Österreich das Renommierpferd, und solange der lebte, konnte keiner hochkommen. Jetzt ist die Bahn frei, jetzt komme ich.‘“[19]
Dr. Karl H. Schneider
Juni 2023
Die Anmerkungen:
[1] In: Der Spiegel (Hamburg) vom 5.6.1957, S. 53 ff.
[2] In seinem Roman „Königsalle“, erschienen 2015, nimmt Hans Pleschinski diese Lesung Thomas Manns zum Anlass, das fiktive Wiedersehen des Erfolgsschriftstellers mit seiner Jugendliebe, dem Düsseldorfer Klaus Heuser, zu beschreiben.
[3] Gerhard Höhme (1920 – 1989) gehörte nach dem Zweiten Weltkrieg zu den wichtigsten Vertretern der abstrakten Kunst und dem Informel: Sammelbegriff für Kunst, die sich an nicht-geometrischen Traditionslinien abstrakter Malerei orientiert; Studium u. a. bei Otto Coester an der Kunstakademie Düsseldorf von 1951 bis 1953, Professur für Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf, auf die er im Jahr 1960 berufen wurde.
[4] Karl Aloys Schenzinger (1886 – 1962) beschreibt in seinem Roman Anilin (1937) die Entwicklung der anorganischen Chemie anhand historischer Personen und insbes. Wissenschaftler. Schenzinger war auch der Autor des ,berühmt‘ gewordenen Romans Der Hitlerjunge Quex, 1932 im Völkischen Beobachter als Fortsetzungsroman veröffentlicht, Verfilmung 1933.
[5] Heimito von Doderer: Tagebücher 1920 – 1939. Herausgegeben von Wendelin Schmidt-Dengler, Martin Loew-Cadonna und Gerald Sommer. München 1996, S. 1114.
[6] Wolfgang Fleischer: Das verleugnete Leben. Die Biographie des Heimito von Doderer. Wien 1996, S. 449.
[7] Er war seit 1934 Lektor beim Verlag, der Kontakt zwischen Doderer und ihm entwickelte sich über viele Jahre, so insbesondere in den 1950er Jahren, zu einer intensiven und auch freundschaftlichen Zusammenarbeit, vgl. dazu: Stefan Rebenich: Ein Welterfolg: Heimito von Doderer. In: ders.: C. H. Beck 1963 – 2013. Der kulturwissenschaftliche Verlag und seine Geschichte. C. H. Beck. München 2013. Dort: Der Verlag nach 1949: Kontinuität und Diskontinuität. Kap. 24. Ein Welterfolg: Heimito von Doderer, S. 445 – 460.
[8] Das Hotel Kölner Hof war einer der letzten großen Kölner Hotelneubauten des 19. Jahrhunderts, 1973 abgerissen.
[9] Die 1953 gegründete Gesellschaft war ein Zusammenschluss leitender Mitarbeiter des Bayer-Werkes Dormagen mit dem Ziel, sich kulturell und gesellschaftlich zu engagieren, vgl. Rheinische Post vom 13.7.2003: „Kasino-Gesellschaft feiert ihr 50-jähriges Bestehen“.
[10] Dem Verfasser von Dr. Gerald Sommer, Vorsitzender der Heimito von Doderer-Gesellschaft und seit vielen Jahren wissenschaftlicher Doderer-Spezialist, dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt.
[11] Vgl. Anm. 8.
[12] Der Jurist Dr. Hans Leep war einer der Mitgründer der 1946 in Wuppertal gegründeten „Gesellschaft zur geistigen Erneuerung ,Der Bund‘“, entstanden als Reaktion auf die NZ-Zeit; die Gesellschaft existierte bis 1975. Leep war erster hauptamtlicher Leier der Volkshochschule Wuppertal.
[13] 1902 – 1915 Städtisches Museum Elberfeld, 1915 – 1918 Kaiser-Wilhelm-Museum, 1918 – 1929 Städtisches Museum Elberfeld, 1929 – 1961 Städtisches Museum Wuppertal, seit 1961 Von der Heydt-Museum.
[14] Heimito von Doderer, Tagebücher (Anm. 5), S. 700.[
15] Lutz-W. Wolff: Heimito von Doderer. Reinbek bei Hamburg 1996, S. 51 mit Hinweis auf: Tagebücher. Bd. I 1920 – 1936 (Anm. 5), November 1934 (S. 650 sowie 700).[
16] Heimito von Doderer, Tagebücher (Anm. 5), S. 701.
[17] Heimito von Doderer, Tagebücher (Anm. 5), S. 699.
[18] Heimito von Doderer: Die Dämonen. Nach der Chronik des Sektionsrates Geyrenhoff. München 1956, S. 76 – weitere Notationen auf den Seiten 422, 423, 424, 426, 428, 437, 440, 463, 504, 652 und 665.
[19] Florian Baranyi: 90. Geburtstag. Der lange Schatten des Thomas Bernhard. In: ORF News v. 09.02.2021.