Willkommen auf der Homepage der Düsseldorfer Heimito von Doderer-Treffen!



Sie finden hier

 - Informationen zum österreichischen Schriftsteller Heimito von Doderer (1896-1966) [Button "Zum Autor"]
- kleine Geschichten, wie Literaturinteressierte zu begeisterten Leser/innen seines Werkes wurden [Hier auf dieser Seite]
- in der Galerie Photos und unter Veranstaltungen Informationen zu einer 2022 durchgeführten Lesung in Krefeld (LIK - Literatur in Krefeld) - sowie einer 2020 im Kunsthaus Mettmann) [Siehe Button "Mehr", dann "Veranstaltungen / Links"]
- die Gründungsidee der Doderer-Treffen in Düsseldorf [Hier auf dieser Seite]
- die bisherigen Termine der Treffen mit den jeweils diskutierten Texten [Siehe Button "Mehr", dann "Termine"]
- vorgelesene Textstellen aus einigen Romanen [siehe Button "Doderer-Texte zum Anhören"]
und
natürlich die Einladung zur Teilnahme an unseren Veranstaltungen. [Button "Unsere Treffen"]


Die Doderer-Treffen-Düsseldorf: Eine Idee wird konkret! 
 

2018 entstand die Idee, neben den bereits vorhandenen Doderer-Stammtischen in Berlin, Frankfurt und Wien, nun einen in Düsseldorf zu gründen. Nach Austausch mit dem Vorsitzenden der Heimito von Doderer-Gesellschaft, Dr. Gerald Sommer (Berlin), kam es am 26.02.2019 zusammen mit dem Initiator sowie zwei Interessierten zu einem Treffen in der Düsseldorfer „Destille“ – einem Lokal am Rande der Düsseldorfer Altstadt. Daraus entstand die Gründung der Doderer-Treffen-Düsseldorf und dann am 06.05.2020 zum ersten Treffen, wieder in der „Destille,“ die lange Zeit der feste Ort der Treffen war. Inzwischen finden die Treffen im Restaurant "Reusch" statt (vgl. "Unsere Treffen").

Bereits im Mai 2020 wurde deutlich, dass alle Beteiligten seit vielen Jahren begeisterte Leser Doderers Werk waren und die gemeinsamen Treffen nun auch zum Austausch von Leseeindrücken nutzen wollten. Seitdem gibt es für den jeweiligen Abend einen Text bzw. Texte als Diskussionsgrundlage - für den Folgetermin wird dann jeweils wieder eine entsprechende Übereinkunft verabredet. 
Die Aktivitäten bestehen in der Durchführung der Treffen, Organisation von Lesungen sowie Veranstaltungen, um das Werk des in Vergessenheit geratenen Schriftstellers (wieder) populärer zu machen.


Heimito von Doderer (1896-1966) und „die Düsseldorfer“…..

In seinem 1956 veröffentlichten Roman Die Dämonen. Nach der Chronik des Sektionsrates Geyrenhoff ist immer wieder von den „Düsseldorfern“ die Rede.

Der Rittmeister von Eulenfeld, eine der schillerndsten Figuren des Romans, ist „Anführer“ einer „Bande“ von draufgängerischen junger Menschen, die sich selbst den Titel „troupeau“ – = Herde – gab.

Die erste Textstelle findet sich auf Seite 76:

„Sie nannten sich auch ,die Düsseldorfer‘, und ihn den ,Big Chief‘. Das erstere stammte daher, daß Eulenfeld einmal erwähnt hatte, es sei für einen einsam reisenden Husaren gar, nicht so leicht gewesen, von Westdeutschland unbesoffen nach Berlin zu kommen; denn ab Düsseldorf bis Berlin wäre die Strecke ,total verseucht‘ gewesen, durch den Urlauber-Verkehr eines dortigen Ulanen-Regimentes; man sei unweigerlich in irgendein Abteil hinein verschleppt worden ….“


Idee und Ziel unserer Treffen besteht im gemeinsamen Austausch von Leseeindrücken!!!

Vor Corona fanden unsere Treffen in der "Destille" am Rande der Düsseldorfer Altstadt statt, im Verlaufe der Pandemie leider in einigen Fällen nur als Zoom-Treffen.
Inzwischen können wir uns endlich wieder "vor Ort" und persönlich treffen, nun im Restaurant "Reusch"!


Die Strudlhofstiege:

Erbaut 1910
Wien, Alsergrund, IX. Bezirk
Sie führt von der Währinger Straße durch die die Strudlhofgasse hinunter in die Liechtenstein Straße.



Welche Wege führten uns zur Beschäftigung mit Werk und Autor?

Heimito von Doderer ist (weiterhin) ein Leseerlebnis!


Teilnehmer der Doderer-Treffen-Düsseldorf:

  • Dr. Uwe Klawitter
  • Dr. Bernhard Köster,
  • Dr. Dieter Liewerscheidt,
  • Dr. Henner Löffler,
  • Prof. Christian Roderburg,
  • Dr. Karl H. Schneider,
  • Klaus Trapp

Gastbeitrag:

  • Dr. Gerald Sommer (Vors. der Heimito von Doderer-Gesellschaft)



 

Dr. Uwe Klawitter 

 

Zur Lektüre von Heimito von Doderers Die Strudelhofstiege bedurfte es bei mir eines zweiten Anlaufes. Angezogen von dem Wiener Schauplatz und von dem Gerücht, dass es sich bei dem Roman um ein grandios erzähltes, aber unterschätztes Werk handele, machte ich mich ans Lesen, um bald festzustellen, dass die Figurenfülle und die komplexe, nicht-lineare Handlungsstruktur mehr Aufmerksamkeit von mir verlangten, als ich seinerzeit aufbringen mochte. Von einem Freund abermals auf Doderer hingewiesen, las ich zunächst, mit großem Vergnügen Die Merowinger und ließ mich dann von Ein Mord, den keiner begeht fesseln. Ein vielleicht etwas schräger Einstieg in das Erzählwerk Doderers. Bei der dann folgenden intensiven Lektüre der Strudelhofstiege, wurde mir klar, dass ich hier einen Autor gefunden hatte, mit dem ich mich unbedingt eingehender auseinandersetzen wollte. 

 

An der Strudelhofstiege gefällt mir ein Erzählen, das sich erlaubt, menschliche Beziehungen in ihrer Kontingenz aufzufächern und Regungen aufzudecken, die der Verstrickung von Lebensläufen zugrunde liegen. Die virtuose Handhabung der Zeit (Vor- und Rückgriffe), aber auch die leitmotivische Verwendung der im Titel genannten Strudelhofstiege erzeugen einen elegischen Sinn für Schicksalhaftes, auch die nicht wahrgenommenen Möglichkeiten des Lebens. In seinem Bild der Wiener Gesellschaft der 1920er Jahre gelingt es Doderer, Figuren, die man in ihrer sozialen Alltäglichkeit vielleicht nicht ohne Weiteres interessant finden würde, in ihrem Gefühlsleben faszinierend zu machen. Auch bei der Re-Lektüre einzelner Passagen gerate ich immer wieder in den Bann Doderers Prosa, die durch kunstvoll und wirkungsvoll gedrechselte Sätze beeindruckt. Der Stil ist auch dadurch gekennzeichnet, dass ungewöhnliche Metaphern und Vergleiche in atmosphärisch dichten Beschreibungen eingesetzt werden und damit eine lyrische Qualität erzeugen; ein gutes Beispiel wäre Etelkas Fahrt im offenen Fiaker auf der Ringstraße und das sich danach in der Figur einstellende Moment gesteigerten Bewusstseins. Originelle Metaphern finden sich auch in den Reflexionen des Erzählers, die mitunter in aphoristisch zugespitzten Lebenseinsichten münden. Nicht zuletzt sind diese Metaphern aber auch in der humorvollen Charakterologie Doderers zu finden, wenn zum Beispiel Figuren gleichen Schlages (nach dem Namen ihres zentralen Vertreters) als ‚Zihaloide‘, also als Gruppe chemischer Elemente begriffen werden; oder wenn der Erzähler lapidar feststellt: „Scheichsbeutel war ein Küstenfahrer. Kein Entdecker…“ Angesichts manch modernistischer Züge des Romans überrascht die deutliche Präsenz des auktorialen Erzählers, der mit eigenwilligen Kommentaren und sparsam eingesetzten, aber deshalb umso wirksameren Leserbezugnahmen in Erscheinung tritt. Köstlich finde ich auch die Selbstironie des Autors, die etwa aufblitzt, wenn der Erzähler am Beginn eines neuen Erzählstranges über die vorher behandelten Figuren bemerkt: „Die sind wir also vorläufig los“. Mein Fazit: Großes Lesevergnügen und Vorfreude auf die noch nicht gelesenen Werke Doderers. 



Dr. Bernhard Köster

An Doderers Werk faszinieren mich die Genauigkeit seiner Beobachtung sei es von Natur, von Architektur, von Menschen und ihren Beziehungen. Die Geschichten, die er erzählt, sind sehr fein gewoben – und Achtung: Kaum etwas, was geschildert wird, ist überflüssig.  Sie sind nicht unbedingt spektakulär, darin gleichen sie dem Leben: Nicht unbedingt spektakulär - aber immer spannend. Das ist vielleicht, was mich an Doderer am meisten beeindruckt: Wenn ich ihn lese, habe ich den Eindruck, aus großer Nähe dem Leben zuzuhören. Er besitzt diese Gabe der ganz großen Erzähler in der Weltliteratur. Und damit es jetzt nicht zu feierlich wird: Die Fähigkeit zur Selbstironisierung besitzt er auch im hohen Masse – im Unterschied zu manch anderem ganz großen Erzähler.
 
Doderers Werk habe ich spät kennengelernt – und dann auch noch per Zufall. Etwa 20 Jahre ist es her - ich war noch nicht ganz fünfzig Jahre alt – als eine Arbeitskollegin, die mich als eifrigen Leser kannte, mir anbot einen Blick in die Bibliothek des elterlichen Haushalts, den sie gerade auflöste, zu werfen und mir nach Herzenslust Bücher auszusuchen.
Bei der Durchsicht fielen mir zwei Bände von Heimito von Doderer auf, seine beiden letzten zu Lebzeiten veröffentlichten Romane: „Die Merowinger“ und die „Wasserfälle von Slunj“. Der Name Doderer war mir geläufig, seine Bücher kannte ich nicht. Ich erinnerte mich, in jungen Jahren eine Abhandlung über Funktion und Darstellung von Idylle bei Arno Schmidt und Heimito von Doderer gelesen zu haben. Dass Doderer im Kontext mit meinem damaligen literarischen Helden (Arno Schmidt!) behandelt wurde, sprach unbedingt für ihn; ich dachte, einen Versuch ist es wert, und nahm beide Bände dankbar mit nach Hause.
Dass ich erst mit fast fünfzig Jahren auf Doderers Werk gestossen bin, mag Zufall gewesen sein, alles Weitere nicht. Ich las „Die Wasserfälle von Slunj“ und war nach kurzer Zeit in den Bann gezogen, es folgten kurz darauf „Die Strudlhofstiege“ und „Die Dämonen“, die als seine Hauptwerke gelten.
Mittlerweile habe ich (fast) sein gesamtes Erzählwerk gelesen und habe keine Stunde bereut. „Die Merowinger“ – eine Lektüre der ganz besonderen Art – kamen dabei erst gegen Schluss an die Reihe.


Dr. Dieter Liewerscheidt   (in der Reihe „Mein Lieblingsbuch“)

Heimito von Doderer: Die Strudlhofstiege

„Die  Strudlhofstiege“ von Heimito von Doderer, 1951 erschienen, hatte ich zuerst wegen des Titels für einen Heimatroman gehalten, kam also lange für eine Lektüre nicht in Frage. Dann aber verbreitete sich das Gerücht, und es erreichte mich um die Mitte der sechziger Jahre, dass da ein ganz urwüchsiger Erzähler am Werke sei, ein ganz massives Erzähltalent. Das war zu der Zeit, als viel von der Krise des Romans die Rede war, etwas Seltenes, wie man es nur noch von Grass‘ „Blechtrommel“ her kannte. Und tatsächlich: Da fesselte einer mit seinem fast tausendseitigen Erzählschinken von der ersten Seite weg mit einem farbigen Wiener Gesellschaftspanorama, wie man das nur Balzac oder Tolstoi zugetraut hätte, mit einem menschlichen Beziehungsgeflecht größten Ausmaßes, zugleich mit intensiven atmosphärischen Schilderungen: vom Fangen eines Flusskrebses in klarem Quellwasser, von grünem „Unterwasserlicht“ in Wiener Großbürger-Salons an heißen Sommernachmittagen. Die vielen Menschen und die wenigen Hauptfiguren kreuzen ihre Wege wie zufällig an einer kunstvoll emporsteigenden Treppenanlage, eben jener titelgebenden Strudlhofstiege, die es in Wien tatsächlich gibt und die man, prächtig zu ihrem 100. Geburtstag restauriert, auch heute besuchen und auf- und abschreiten kann.

Die Handlung ist vielfältig, voller Umwege wie die symbolische Treppenanlage selbst, und kaum wiederzugeben – was, wie Doderer sagt, ein Merkmal guter Romane ist. Sie rankt sich um den gedankenverlorenen Geschichtsstudenten René Stangeler und das schwierige Verhältnis zu seiner Verlobten, um den durchschnittlichen, aber sich weiter entwickelnden Ex-Major Melzer und sein unverhofftes Eheglück, schmuggelnde weibliche Zwillinge und eine attraktive Frau, die bei einem Staßenbahnunfall ein Bein verliert. Die Figurenkomposition hat durch die Zufallsregie und den Schauplatz mit seinen unverhofften Begegnungen manchmal etwas Opernhaftes. Die Erinnerung geht von den zwanziger Jahren zurück in die Jugendzeit vor dem Ersten Weltkrieg und bildet die geheime Zeitachse.  Dem Autor hat man das üppige Wirklichkeitsnetz als eine Konstruktion vorgeworfen, welche die Wunde des Krieges geradezu verdecken sollte. Der Vorwurf einer idyllischen Zeitlosigkeit, einer systematischen Geschichtsverdrängung und einer illusionären Gesellschaftsharmonie ist nicht von der Hand zu weisen, und beim zweiten Lesen ist mir das Konservative dieses Erzählers auch aufgefallen. Das happy end, an dem aber nicht alle teilhaben, ist leicht übertrieben, doch ironisch gebrochen. Der atmosphärische Charme, die szenische Genauigkeit des Beobachters und das Netz von leitmotivischen Anklängen haben mich wieder beeindruckt.


Dr. Henner Löffler


Ich habe schon sehr früh viel gelesen, und die ‚Helden‘ meiner Lebensjahre ab dem sagen wir einmal zehnten Geburtstag waren Carl Barks (mit Donald Duck in den Micky Maus Heften ab dem September 1951), Karl May mit fast allem außer dem Spätwerk, Robert Louis Stevenson (zunächst natürlich mit der Schatzinsel, dann aber bald auch mit den großen Romanen sowie der wundervoll komischen Wrong Box), Mark Twain mit Tom Sawyer und Huckleberry Finn, Erich Kästner mit den, wie es in der Werkausgabe heißt, Romanen für Kinder, Die rote Zora von Kurt Held, und sehr bald auch Arthur Conan Doyle mit dem Sherlock Holmes - Kosmos.  Da gab es noch manches andere wichtige Buch im frühen Alter, aber es will mir jetzt nicht einfallen. Harry Potter hätte mit Sicherheit dazu gehört. 

Ich war gerade sechzehn Jahre alt geworden, als ich auf einer Reise mit meinen Eltern in einem Antiquariat in Innsbruck auf den fünften Band der Historisch - Kritischen Ausgabe von E.T.A. Hoffmanns Sämtlichen Werken stiess, erschienen zu München im Jahr 1910, hg. von Carl Georg von Maassen, einem Münchner Privatgelehrten (damals gab es die noch) und bedeutendem Kenner der Romantik, die leider niemals vollendet wurde. 

Es waren nicht nur die beiden darin enthaltenen Erzählungen, Seltsame Leiden eines Theater-Direktors und Klein Zaches genannt Zinnober, die mich in den Bann schlugen, sondern das Buch als solches, mit höchst gelehrten Anmerkungen, Lesarten sowie fünfzehn ‚Bildbeigaben‘, ich hatte nicht geahnt, dass es so etwas gibt, und in feinstes Halbleder gebunden (was im Georg Müller - Verlag Standard war). Nach der Lektüre war ich diesem Dichter verfallen. Und ich fasste vier Vorsätze: 

1.     Alles, was es von dieser Ausgabe gab, zu finden, und alles von ETAH zu lesen. 

2.     Büchersammler zu werden. 

3.     Verleger zu werden. 

4.     Germanistik zu studieren, mit dem Ziel, Hochschullehrer zu werden. 

Nun, die Vorsätze 1 bis 3 erfüllte ich mir, zum Teil viel, viel später, aber nicht die Nummer 4. Meine literarischen Interessen erhielten neue Schwerpunkte, wie z.B. Arno Schmidt (über die in konkret, damals, in der ersten Hälfte der Sechziger noch im Zeitungsformat, veröffentlichten Kurzgeschichten, die später in dem Sammelband Kühe in Halbtrauer zusammengefasst wurden). 

Zur ungefähr gleichen Zeit entdeckte ich Samuel Beckett, zunächst in der Ausgabe seines ersten Romans, Murphy, als Rowohlt - Taschenbuch, über den ich, natürlich ohne Honorar, Jahre später eine ganze Seite in konkret unterbrachte, im März 1963. Dem folgten, noch vor meinem einundzwanzigsten Lebensjahr, Franz Kafka (es gab da einen guten Deutschlehrer in der Oberstufe im Kölner Apostelgymnasium), Karl Kraus, Joyce, Wilde, Poe, Flaubert, Joseph Roth,  Sterne, Fielding, und noch so manche, die ich nicht aufzählen will, dann aber und zugleich Charles Dickens und Heimito von Doderer. 

Seltsamerweise las ich von diesen Beiden als erstes den jeweils einzigen surreal komischen Roman (bei HvD muss man ja noch einige Kurz- und Kürzestgeschichten dazu tun). Die Pickwick Papers, weil sie mir ein Freund empfohlen hatte, also hier das frühe bzw. erste, und Die Merowinger, dort das späte Werk. 

Ich hatte es in der Bibliothek meines Vaters entdeckt (er las eigentlich nur Historisches), in die es offensichtlich insoweit per Zufall geraten war, weil es ihm ein Korpsbruder aus der Verbindung ‚Merowingia‘ zum Geburtstag geschenkt hatte, in der Annahme wohl, es handle sich hier um eine historische Untersuchung. Nun, das war es eben nicht, obwohl Doderers Studium der Geschichte in das Werk einfloss. 

Beide Bücher beeindruckten mich stark, in geringem zeitlichen Abstand, warfen mich um, veränderten meinen Blick auf Literatur. Ihre völlig absurde Komik, im Inhalt ebenso wie in der Sprache, berührte einen ganz besonderen Punkt in mir, wie ich es später so nur bei Eckhardt Henscheid, in der berühmten Trilogie des laufenden Schwachsinns, so übrigens nicht von ihm genannt (er kam übrigens erst spät zu Doderer, dann aber richtig), und in einem Roman von Thomas Mann (er kam nie zu Doderer, dieser aber auch nicht zu ihm), natürlich dem - wiederum späten - Felix Krull erleben durfte. Ich hatte dann im Jahr 2003 Gelegenheit, meine Gedanken zu ‚Doderer und Dickens‘ mit besonderem Bezug auf die beiden ‚komischen‘ Romane  in der Festschrift für Engelbert Pfeiffer zu seinem 90. Geburstag auszubreiten. 

Wie ging es nun weiter mit Doderer? Ich nahm mir als nächstes Die Strudlhofstiege vor, dann nach und nach alles Andere, erst am Schluss fühlte ich mich reif für Die Dämonen. Mit diesem Werk hatte ich zunächst Probleme, diese fielen aber bei der relativ zügigen zweiten Lektüre in sich zusammen. Ich las auch die Tagebücher / Commentarii, und zwar alle; in der Regel fand die Lektüre räumlich unweit der Werkausgabe statt, und‚ es geschah mancher rasche Hops‘ (Die Merowinger, p. 256). Nach und nach wurde er zu meinem Lieblingsautor, und ich befasste mich mit seinem Leben, war sogar auf dem Riegelhof und atmete sozusagen die Luft der sich dort abspielenden Szenen inklusive des Tropidonotus - Lindwurm und des Tennisplatzes, welcher mich als Nicht-Rasenplatz ein wenig enttäuschte. Aber eigentlich faszinierte mich dort alles, da war die Aura des jungen Schriftstellers und die der Strudlhofstiege. Ich zwang mich sogar, die Biographie von Wolfgang Fleischer, dieses von Hass durchdrungene Buch, zu Ende zu lesen. Aber dann ging es immer wieder zurück zu den Texten, und zwar mit Freude. Doderer gehört nun einmal zu den Schriftstellern, bei denen die ‚Feuerprobe‘ (Michael Maar, auch jemand, der erst spät Doderer für sich entdeckte) des zweiten oder gar dritten Wiederlesens als bestanden gelten kann. 

Nun denn, ich nahm bis 2012 an allen Tagungen zu seinem Werk teil, trug meistens etwas vor, und glitt immer tiefer in diese spezielle Welt ein. Ich las alles, was über Doderer erschien, auch die Dissertation Dietrich Webers, den ich dann auch persönlich kennenlernen durfte, wobei ich von ihm sehr beeindruckt war. Er hielt später, 1999, auf meine Bitte hin, den Fest-Vortrag mit dem Titel ‚Heimito von Doderer. Dichter der Aura‘, anläßlich der Auszeichnung von Martin Mosebach mit dem Doderer - Literaturpreis im großen Festsaal des Kölner Rathauses, und er war grandios. Von seiner ‚Studie zum Romanwerk Doderers‘ abgesehen gab es aber, wie ich feststellen musste, nur einzelne Untersuchungen, zwar immer interessant, zum Teil beeindruckend, aber nicht die Gesamtschau. Ich hatte auf der ersten Tagung Prof. Wendelin Schmidt - Dengler kennen und verehren gelernt. Er hielt dann 1998 den Doderer - Vortrag (‚Die Dyamik der stehenden Bilder in Doderers Prosa“) bei der Preisverleihung an Urs Widmer in Köln. Ich hatte diesen Literaturpreis im Jahr 1996 gestiftet, der Doderer in Deutschland bekannter machen sollte. Er wurde das erste Mal in Wien, an Ror Wolf, vergeben, dann einmal in Berlin und neun Mal in Köln, zuletzt im Jahr 2010. 

Was Wendelin Schmidt - Dengler bei langweiligen Vorträgen im Rahmen von Doderer - Tagungen da vor sich hin grantelte, werde ich nie vergessen. Der große Kenner und Interpret österreichischer Literatur, nebenbei Direktor der Nationalbibliothek, war ein schlichthin wundervoller Mensch. Welch eine Katastrophe, dass er so früh von uns ging. 

 

Er war es auch, der im Jahr 2002 mein Doderer – ABC, welches das gesamte Werk zu analysieren versucht, an der Wiener Universität als Dissertation durchdrückte, was nicht ganz einfach war, da es schon zwei Jahre zuvor bei C.H.Beck in München, dem Verlag Doderers, erschienen war. Dieses Buch, das zu meiner großen Freude dann noch im Jahr 2005 als dtv-Taschenbuch erschien, war die Kulmination meiner Liebe zu diesem Dichter. 



Prof. Christian Roderburg


Doderers Werke waren mir schon als Kind im Bücherregal meiner Eltern aufgefallen. Über die Worte „Heimito“ und „Strudlhofstiege“ habe ich mich sehr amüsiert. Später einmal erzählten mir die Eltern, daß sie schon als Musikstudenten einen Lesekreis hatten und von den Romanen Doderers „ganz besoffen“ waren, ein sehr ungewöhnliches Statement für meine in künstlerischen Dingen so kritischen Eltern.
Ende 1989 habe ich dann (ich weiß nicht mehr warum) beschlossen, diese Lektüre mal zu versuchen.
Mein Vater hat mir empfohlen, mit den Merowingern anzufangen, meine Mutter protestierte sofort und meinte, das wäre das einzige scheußliche Buch. Also ran an die Merowinger.
Ich war seit 1978 freiberuflicher klassischer Schlagzeuger und entsprechend begeistert über Prof. Horn und seine therapeutisch eingesetzten „Paukenschlögel“, den die kleinen Kesselpauken „rührenden“ Wänzrödl, sowie den mir aus etlichen Konzerten bekannten Meyerbeer‘schen Krönungsmarsch zu lesen, ein Musikstück, bei dem ich wegen seiner pathetischen Hohlheit immer Mühe hatte, ernst zu bleiben.
Die sich anschließende Lektüre der „Strudlhofstiege“ und der „Wasserfälle“ Anfang der 90er Jahre hat mich dann endgültig überzeugt, daß das „mein“ Autor ist.
Die Figurenzeichnung, der Ton und die Variabilität des Erzählens, der Humor, und und und...
Nach Beendigung der „Strudlhofstiege“ bin ich sofort mit dem Nachtzug nach Wien gefahren, und morgens habe ich dort auf der Bank gesessen.
Schön, die zuerst erlebte groteske Seite des Autors in den „Erleuchteten Fenstern“ nochmal anzutreffen. Dieser kleinere Roman gehört zu meinen absoluten Favoriten.
Nachdem ich die übrigen, vor den 50er Jahren geschriebenen Werke auch noch gelesen hatte, machte ich mich auf, die großen Romane zum 2. Mal zu lesen, und habe gemerkt, wie gut das alles komponiert ist, es war alles noch viel großartiger, als ich es in Erinnerung hatte. Besonders gefällt mir, daß der Autor mir eine permanente enorme Aufmerksamkeit abverlangt, um all die Feinheiten der Komposition nachzuvollziehen.
Es sind wirkliche Partituren, in denen man immer wieder lesen kann.
Ich kann vor der Lektüre von Doderers Werken nur „warnen“. Die Maßstäbe ändern sich sehr durch diese Lektüre. Ein Zitat von Wilhelm Raabe mag das erläutern: „Erst durch das Lesen merkt man, wie vieles man ungelesen lassen kann“.


Dr. Karl H. Schneider

 
In den 1970er Jahren hatte ein Germanistikdozent an der Universität Düsseldorf seinen Schwerpunkt auf die österreichische Literatur gelegt.
Im Sommersemester 1975 nahm ich an seinem Seminar „Karl Kraus und die österreichische Sozialdemokratie“ teil und schrieb eine Semesterarbeit mit dem Thema „Die Wiener Arbeiterrevolte vom 15.7.1927 und Karl Kraus‘ Kampf gegen den Polizeipräsidenten Schober“ – damit war ich natürlich auf Doderer gestoßen (worden).
Im Wintersemester 1975/76 beschäftigte sich das nächste Seminar „Der Untergang des Habsburgerreiches im Spiegel der österreichischen Literatur“ mit zahlreichen Autoren: Hofmannsthal, Bahr, Schaukal, Wildgans, Zweig, Schnitzler, Werfel, Roth, Schreyvogel und natürlich mit Heimito von Doderers „Die Dämonen.“ Damit wurde dieser Roman zu meiner ersten „Begegnung“ mit ihm.
In diesen beiden Seminaren – weitere zur österreichischen Literatur folgten – wurde die Grundlage für das Interesse an Doderer bis heute begründet. Nach dem Ersten Philologischen Staatsexamen bei Prof Dr. Manfred Windfuhr 1979 begann ich dann mit der weitergehenden wissenschaftlichen Beschäftigung, die die 1985 erschienene Veröffentlichung „Die technisch-moderne Welt im Werk Heimito von Doderers“ (Diss. an der Philosophischen Fakultät der Universität Düsseldorf 1984) zum Ergebnis hatte.
In den folgenden Jahren trat, beruflicher Tätigkeiten geschuldet, die Wahrnehmung der philologischen Arbeiten rund um Werk und Autor in den Hintergrund. Erst 2017 fand sich wieder ein Weg zur intensiven Beschäftigung, ausgelöst durch einige Zufälligkeiten, die dann 2018 zum Eintritt in die Heimito von Doderer-Gesellschaft, zur Teilnahme an Lesungen, Symposien und zur aktiven Mitarbeit führten. Dazu gehören u. a. auch die Initiative zur Gründung des Düsseldorfer Doderer-Stammtisches und die Organisation von Veranstaltungen, wie z. B. die Lesung im Kunsthaus Mettmann am 30.01.2020.
Weshalb ist auch heute Heimito von Doderer ein Autor, dessen Werke (wieder) zur Lektüre zu empfehlen sind? Doderer ist ein außerordentlicher Erzähler, der mit einem breiten Spektrum von Texten in sehr präziser und anspruchsvoller Sprache aufwartet, Umwelt sehr genau verarbeitet und aufnimmt: Die Lektüre wird immer (wieder) zu einem Lese-Ereignis. Er ist einer der interessantesten österreichischen Autoren des 20. Jahrhunderts.


Dr. Gerald Sommer

Mein Doderer-Moment

Da gibt es freilich mehr als einen ...
Der erste war an einem sonnigen Vormittag des Frühjahrs 1988. Ich fuhr mit einem Zug der Berliner U-Bahnlinie 1. Auf der Viaduktstrecke zwischen Görlitzer Bahnhof und Gleisdreieck im damaligen West-Teil der Stadt. Ich hatte eine Dünndruckausgabe der STRUDLHOFSTIEGE bei mir, die bisher ganz unbeachtet bei mir im Bücherregal gestanden hatte. Das Buch war auch gar nicht zum Lesen mitgenommen worden, sondern für eine Arbeitskollegin bestimmt. Irgendwer hatte es ihr empfohlen. Aber weil ich

es nun schon einmal dabei hatte, schlug ich es auf und begann zu lesen. Der erste Satz traf mich mit einer Wucht, als wäre er nur für mich geschrieben worden. Sie alle kennen ihn natürlich:

Als Mary K.s Gatte noch lebte, Oskar hieß er, und sie selbst noch auf zwei sehr schönen Beinen ging (das rechte hat ihr, unweit ihrer Wohnung, am 21. September 1925 die Straßenbahn über dem Knie abgefahren), tauchte ein gewisser Doktor Negria auf, ein junger rumänischer Arzt, der hier zu Wien an der berühmten Fakultät sich fortbildete und im Allgemeinen Krankenhaus seine Jahre machte.

Wer so beginnt, das fühlte ich und habe es seitdem immer wieder bestätigt gefunden, versteht sein Handwerk. Wer so beginnt, beherrscht auch große und komplexe Stoffmassen. Wer so beginnt, produziert alles, nur keine Konfektionsware. Zugleich war ich überrascht, denn der Autor war mir bekannt. Ein paar Jahre zuvor hatte ich EIN MORD DEN JEDER BEGEHT gelesen und recht gut gefunden, die WASSERFÄLLE VON SLUNJ hingegen nach einer halben Seite wieder weggelegt. Aber das hier war ein ganz anderer Ton. Zwanzig Minuten später übergab ich das Buch und freute mich darauf, in ein, zwei Wochen weiterlesen zu können.

Bis es dazu kam, hat es freilich Monate gedauert. Die Kollegin, der ich meine Ausgabe geliehen hatte, kam nur langsam voran und hat DIE STRUDLHOFSTIEGE nie zu Ende gelesen. Ich hingegen las sie, unterbrochen nur von Nachtschlaf und gelegentlichen Mahlzeiten, in einem Zuge durch und wußte danach:

Ich hatte meinen Autor gefunden.


Klaus Trapp

 

Begegnung mit der Stiege 

Meine Erinnerungen an den Bücherschrank meiner Eltern sind recht vage. Sicher kann man ihn als bildungsbürgerlich geprägt bezeichnen. Neben einigen Roman-Bänden aus dem Hause Reader's Digest, die später verschwanden, und einigen klassischen Werken erinnere ich mich z. B. an John Knittels ‚Via Mala‘ oder Thackerays ‚Jahrmarkt der Eitelkeit‘, aber auch an neuere Werke und ganz bestimmt befand sich dort eine Ausgabe der Strudlhofstiege. 

Damals in den späten 50er und frühen 60er Jahren habe ich sicher nicht hineingeschaut. Der Name hat sich mir dennoch eingeprägt, vermutlich habe ich etwas Essbares damit verbunden, etwa einen Mohnstrudel. Mein Interesse als Leser galt damals mehr Karl May. In meiner späteren Schulzeit erstreckten sich meine literarischen Neigungen mehr auf das Theater. 

Meine erste eigentliche Begegnung mit der Strudlhofstiege verdanke ich einer Germanistik-Studen­tin. Wir trafen uns zufällig spät abends in einer Kneipe in Köln und Rosi oder Roswitha, ich weiß es leider nicht mehr genau, erzählte mir von der Strudlhofstiege. Rosi sprach voller Begeisterung von dem Roman und fand in mir einen geduldigen Zuhörer, obwohl ich ganz anderes im Sinn hatte. Außer dem Namen Mary K. habe ich nicht viel von dem Gespräch behalten und natürlich den Eindruck, dass es sich um einen besonderen Roman handeln müsse. 

Ende der 80er Jahre gab es im Fernsehen eine zweiteilige Adaption der ‚Stiege‘, und ich war sehr er­staunt, dass Mary K. darin gar nicht vorkam. Auf jeden Fall nahm ich mir nun vor, das Buch endlich zu lesen, es musste ja noch bei meiner Mutter im Bücherschrank sein. 

Ich hatte mich inzwischen überwiegend mit Joyces ‚Ulysses‘ befasst und, wenn ich das so sagen darf, darüber meine eigentliche Leserwerdung vollzogen. 

Als ich nun endlich die Strudlhofstiege lesen wollte, musste ich feststellen, dass meine Mutter, die kurz zuvor in ein Seniorenheim gezogen war, alle Bücher – darunter auch die besagte Biederstein-Ausgabe – einer Pfarrbücherei übergeben hatte. Trosthalber schenkte mir jemand die Taschenbuch-Ausgabe und mein Doderer-Leseabenteuer konnte beginnen. 

Ich war sehr angetan von dem Roman, ja geradezu fasziniert von Doderers Sprache, und zugleich verspürte ich große Lust, den Schauplatz näher zu inspizieren. 

Nach intensiver Ulysses-Lektüre hat man zweifellos das Bedürfnis, auf Leopold Blooms Spuren durch Dublin zu tapern und, obwohl es Barney Kiernan‘s Kneipe längst nicht mehr gibt und im Ormond Hotel keinen Bierausschank, kann man immerhin noch bei Davy Byrne in der Duke Street ein Gorgonzola Sandwich mit Senf bekommen und in Sandycove den Martello-Tower besichtigen. 

Ähnlich ging es mir mit der ‚Stiege‘. Es dauerte allerdings noch ein paar Jahre, bis ich nach Wien kam. 

Meine Zweitlesung verdanke ich einem österreichischen Hotel und leichtem Regen. Das Hotel Hoch­schober an der Turracher Höhe verfügt neben vielen lobenswerten Vorzügen (ich erwähne nur das Strudelbuffet) über eine außerordentliche Bibliothek und zwar sowohl was den Umfang des Buch­bestands als auch die Annehmlichkeiten des Raumes angeht. In welchem Hotel sonst findet man die Gesamtausgaben von Thomas Bernhard, Grillparzer, Hofmannsthal, Anton Kuh oder Doderer, um nur einige österreichische Autoren zu nennen. 

Draußen nieselte es und ich dachte mir, die Strudlhofstiege könnte ich gut nochmal lesen. Es wurde ein sehr intensives Lesevergnügen mit vielerlei Notizen, die ich später auf meiner Webseite ver­öffentlichte. Dabei blieb es nicht - naturgemäß. Es folgten ‚Die Dämonen‘, die ‚Wasserfälle‘, die ‚Merowinger‘. Und es ist nicht zu Ende.